21. Europäischer Abend: Europa regieren?!

Welchen Kurs wird die EU-Kommission die erst vor kurzem die Amtsgeschäfte übernommen hat, einschlagen? Sie ist mit der Wahl Jean-Claude Junckers zum Kommissionspräsidenten politischer eingestellt als ihre Vorgängerinnen. Doch ist sie schon eine europäische Regierung oder zumindest auf dem Weg dorthin? Und was kann angesichts der aktuellen inneren und äußeren Krisen, die Europa in seinen Grundfesten erschüttern, von ihr erwartet werden? Wie bunte Fäden zogen sich diese Fragen am 24. November 2014 im dbb forum berlin durch das Programm des 21. Europäischen Abends von dbb, Europa-Union Deutschland dem Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement zusammen mit der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland. Sein Motto: „Europa regieren ?!“

Das erste Wort hatte der dbb Bundesvorsitzende Klaus Dauderstädt, der den rund 400 europainteressierten Gästen im dbb forum berlin in seiner europapolitischen Einschätzung zur Begrüßung sogleich den Ernst der Lage Europas vor Augen führte. „In der Europäischen Union brennt es lichterloh“, so Dauderstädt. Diese Brandherde könnten nur durch eine Neuordnung europäischer Aufgaben gelöscht werden. „Europa hat mit den Spitzenkandidaturen in den Parteien einen großen Schritt hin zu einer anderen Konstruktion europäischer Regierungsverantwortung getan. Noch ist die Kommission aber keine Regierung“, warnte der dbb Chef, der auch Vizepräsident der Europäischen Union der Unabhängigen Gewerkschaften (CESI) ist. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und sein Team sollten sich auf die wesentlichen Themen konzentrieren, die die Mitgliedstaaten in der Globalisierung nicht mehr allein beantworten können und dabei weniger bürokratisch und mehr politisch agieren. „Der Subsidiaritätsgedanke muss dabei Richtschnur sein.“

Wesentliche Aufgaben für die Kommission sind aus Sicht des dbb Chefs vor allem die äußere Sicherheit Europas, eine stabile Währungsunion, gemeinsame Asyl- und Einwanderungspolitiken, eine Energieunion, aber auch die Errichtung sozialer Mindeststandards auf europäischer Ebene. „Diese Mindeststandards müssen den Mitgliedstaaten ihre Erst- und Letztzuständigkeit in der Sozialpolitik belassen, sie aber insoweit unterstützen, dass sie Lohn- und Sozialdumping im Binnenmarkt wirksam ausschließen.“

Joschka Fischer : Die Schweiz als Vorbild

„Ich möchte von Europa regiert werden!“, leitete Bundesaußenminister a.D. Joschka Fischer seinen Impulsvortrag ein und erinnerte an die Anfänge europäischer Politik mit ihren zeitraubenden „sitzfleischstrapazierenden“ Arbeitssitzungen. „Aber das war allemal besser als in den Krieg zu ziehen, wie unsere Väter und Großväter“, sagte Fischer und zeigte sich enttäuscht, dass sich die Europäer nach all dem Großen, was sie in jahrzehntelanger Arbeit auch durch die Abschaffung der Grenzkontrollen und die Schaffung einer gemeinsamen Wirtschafts-und Währungszone erreicht haben, heute weniger ernst zu nehmen scheinen als andere. „Die EU hat nicht verstanden, dass sie auch eine machtpolitische Herausforderung darstellt und welche Rolle die wirtschaftliche Kooperation mit Osteuropa beim Wiedererstarken russischer Großmachtsinteressen spielt.“

Diesem mangelnden Selbstbewusstsein durch Umgestaltung der EU-Kommission begegnen zu wollen, hält Fischer für falsch: „Die EU-Kommission wird nie Europas Regierung werden, weil sie hierfür weder das Mandat, noch die Legitimität hat. Aufgabe der Kommission ist es, die Intergration voranzubringen, indem sie die wirtschaftliche Einheit vertieft. Politische Handlungsfähigkeit könnte der Rat der Europäischen Union erlangen, wenn es gelingt, die Machtgewichtung zwischen Rat und Parlament neu auszurichten.“ Denn ohne Einbeziehung der nationalen Entscheidungsträger könne Europa nicht regieren. Auch der Bundesaußenminister a.D. hält den Zustand Europas für ernst: „Es geht hier aber nicht um die äußeren Probleme, Putin wird uns eher zusammenführen. Die schwerste Krise findet im Inneren statt. Wir werden keine politische Union bekommen, wenn wir die Nationalstaaten nicht mitnehmen und wir werden unsere Währungsunion nur stabilisieren können, wenn wir eine ernst gemeinte politische Union anstreben. Und hier komme ich nicht umhin an das Verantwortungsgefühl Frankreichs und Deutschlands zu appellieren, deren Aussöhnung den europäischen Einigungsprozess erst ermöglicht haben. Das deutsch-französische Paar muss vorangehen, und die Staaten der Eurogruppe folgen“, so seine Empfehlung. Fischer verwies auch darauf, dass das am Vorbild der Vereinigten Staaten von Amerika ausgerichtete Unionsverständnis nicht auf Europa übertragbar sei: „In Amerika ging es um wenige Millionen Menschen, die ein riesiges Territorium ohne staatliche Strukturen besiedelten. Wir in Europa sind heute 500 bis 600 Millionen. Die Bürger der europäischen Staaten sind tief in ihrer Sprache, Kultur und Geschichte verwurzelt. An einer sprachlichen und kulturellen Verschmelzung haben sie kein Interesse. Das Beispiel der mehrsprachigen Schweiz zeigt mir aber, dass der Rat die Regierung eines föderalen Europa werden kann, mit zentralisierten Kernkompetenzen wie Finanzen, Außen-und Sicherheitspolitik.“

Elmar Brok: Vorhandene Institutionen stärken

Der Vorsitzende des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten im Europäischen Parlament (EP), Elmar Brok, ging in seinem Vortrag der Frage nach, wie die politische Akzeptanz der europäischen Institutionen verbessert und somit ihre Durchsetzungskraft gesteigert werden kann. „Die Frage der Legitimität steht an erster Stelle. Die europäischen Entscheidungsprozesse sind nicht transparent genug. Wenn die Bürger besser verstehen lernen, wer, was und wie entscheidet, dann würde Europa viel positiver wahrgenommen“, sagte der EP-Außenpolitikexperte. Um das zu erreichen, müssten auch die nationalen Politiker aufhören zu behaupten, „wenn es regnet, war es Brüssel, wenn die Sonne scheint, war es Berlin oder Paris oder Dublin.“

Wie Joschka Fischer regte Elmar Brok strukturelle Änderungen beim Rat der Europäischen Union an. Nur zielt seine Idee auf die Errichtung einer Länderkammer mir legislativen Aufgaben nach dem Vorbild des Deutschen Bundesrates. „Dort könnte es zwei, drei öffentliche Sitzungen geben, in denen jeder nationale Vertreter in öffentlicher Debatte darlegt, welche Rolle sein Land im komplizierten Räderwerk europäischer Politik spielt.“ Brok warnte zugleich, die Bürger Europas zu überfordern. „Es hat Jahrzehnte gebraucht, Dinge zu entwickeln, die zunächst unvorstellbar waren: wer hätte noch vor zehn Jahren an eine eigenständige Außenpolitik Europas geglaubt?“ Dennoch stecke die Außenpolitik noch in ihren Anfängen: „Der Hohe Rat war nicht effizient. Wir müssen erst eine gemeinsame Sprache finden, damit es uns gelingt, eine gemeinsame Russlandpolitik zu formulieren.“ In den kommenden fünf Jahren sei es weniger wichtig, neue Regeln und Gesetze zu verabschieden. Die neue Legislaturperiode sollte vielmehr genutzt werden, das Vorhandene umzusetzen.

Panel: Klares „Ja“ zur Entwicklung Europas

Bei der sich anschließenden den Podiumsdiskussion, die der von der Fernsehjournalistin Constanze Abratzky (Phoenix) moderiert wurde, lieferten versierte Europa-Kenner ihre Einschätzung zum „Patienten“ Europa. Professor Dr. Werner Weidenfeld, Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung der Universität München, zeigte sich zuversichtlich, dass Europa die gegenwärtige Krise überwindet, wenn politisch „auf Sicht gefahren“ werde. „Europa hat seine Fortschritte in der Entwicklung immer als Antwort auf Krisen gemacht.“ Dr. Angelika Mlinar, MdEP, von der proeuropäisch eingestellten Partei NEOS – Das Neue Österreich und Liberales Forum kritisierte die Unfähigkeit der Politik, Europa zu transportieren: „Wir halten die Kommunikation nicht mehr aufrecht. Sie ist nicht dem 21. Jahrhundert angepasst. Und das kommt nicht gut an. Die Menschen wollen mehr einbezogen werden, nicht nur vor anstehenden Wahlen.“ Rolf-Dieter Krause, Leiter des ARD-Studios in Brüssel, bekannte, dass er die Lage der Europäischen Union noch viel ernster bewerte, als Joschka Fischer sie beschrieben habe. Er forderte endlich wieder einen internen Dialog in Gang zu bringen und kritisierte zugleich die überhöhten Erwartungen an die Leistungen der EU: „Wir haben die Messlatte so hoch gelegt, dass wir wunderbar darunter hergelaufen sind.“ Der Vertreter der Europäischen Kommission in Deutschland, Richard Kühnel, warb um Verständnis für die wegen ihrer Langzeitpläne häufig kritisierte die Arbeitsweise der EU-Kommission. „Wir müssen die Ansprüche austarieren, die an uns gestellt werden und machen die Langfristpläne, weil wir uns im Gegensatz zu den nationalen Regierungen den Luxus leisten können, über den Tellerrand hinweg zuschauen und Entwicklungen auf den Weg zu bringen.“

„Wir haben Europa viel zu verdanken und sind optimistisch, dass wir g die Krise gemeinsam überwinden können“, sagte die Vizepräsidentin der Europa-Union Deutschland ,Eva Högl, in ihrem Schlusswort und regte mit Blick auf das Motto des Abends „Europa regieren?!“ an: „Lassen Sie uns das Fragezeichen streichen!“

 

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