Diskussion

Befristungen eindämmen: Der Staat ist kein gutes Beispiel

Die Bundesregierung will – laut Koalitionsvertrag – befristete Arbeitsverhältnisse zurückdrängen. Doch eine Podiumsdiskussion im dbb forum berlin zeigte, dass der Staat unbedingt auch vor der eigenen Türe kehren muss.

„Sachgrundlose Befristungen – Regelungsbedarf oder Doppelmoral?“ war das Thema der Veranstaltung am 24. Juni 2019. Geladen hatte eine eher ungewöhnliche Allianz: Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall und der gewerkschaftliche Dachverband dbb. Anlass sind die Pläne der Bundesregierung, insbesondere die sachgrundlosen Befristungen anzugehen. Erste Hinweise darauf, wie das gelingen soll, stehen im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD. Doch der eigentlich für das Frühjahr 2019 angekündigte Gesetzentwurf lässt weiter auf sich warten. Schnell wurde klar, dass die bisher bekannten Eckpunkte eher mehr Fragen aufwerfen, anstatt Probleme zu lösen.

Arbeitgeber und Gewerkschaft grundsätzlich einig

Seltene Einigkeit in dieser Frage zeigten auch dbb und Gesamtmetall – obwohl beide Organisationen eigentlich unterschiedliche Ziele verfolgen. Gefragt nach seinem größten Wunsch für das Gesetzgebungsverfahren stellte dbb Chef Ulrich Silberbach klipp und klar fest: „Die sachgrundlose Befristung gehört abgeschafft.“ Durch Befristungen werde Unsicherheit geschaffen, auch und gerade etwa bezüglich der Familienplanung: „Unsere Jugendorganisation hat das mit dem Satz ‚Befristung ist das beste Verhütungsmittel‘ sehr anschaulich auf den Punkt gebracht.“ Gesamtmetall Präsident Rainer Dulger sah das naturgemäß etwas anders. Zwar räumte er ein, angesichts der guten Konjunktur mit befristeten Jobangeboten derzeit ohnehin keine Fachkräfte gewinnen zu können. „Aber die wirtschaftliche Entwicklung trübt sich ein. Und in solchen Phasen brauchen Unternehmen mehr Flexibilität, nicht weniger.“

Einig waren sich die beiden Verbandschefs aber darin, dass die Ansätze aus dem Koalitionsvertrag nicht zielführend sind. So sind beispielsweise Quoten geplant, wie hoch der Anteil der befristet Beschäftigten an der Gesamtbelegschaft sein darf. Bei Unternehmen mit bis zu 75 Mitarbeitern etwa 2,5 Prozent. „Die Metall- und Elektroindustrie ist mittelständisch geprägt. Diese Grenze betrifft etwa 70 Prozent unserer Mitglieder“, erklärt Dulger. „Bei 75 Beschäftigten dürfen die also keine zwei befristeten Vollzeitstellen haben.“ Ein Metall-Unternehmer aus dem Publikum unterstrich, dass dies selbst bei guten Konjunktur für solide unternehmerische Entscheidungen kein ausreichender Spielraum sei. Silberbach bemängelte in diesem Zusammenhang vor allem die Unklarheit der Pläne: „Was bedeutet das denn für den öffentlichen Dienst? Wie ist hier der Arbeitgeber definiert? Der Staat? Die Gebietskörperschaft? Die Dienststelle?“

Der Staat selbst ist „Befristungs-Meister“

Dulger und Silberbach fordert auch gemeinsam, dass der Staat – bevor er unklare und unpraktische Regelungen erlässt (Stichwort „Bürokratisierung“) – auf jeden Fall auf allen Ebenen selbst mehr gegen Befristungen unternehmen müsse. „Im öffentlichen Dienst sind 9,5 Prozent befristet beschäftigt, in der Privatwirtschaft sind es 7,1 Prozent. Und in der Metall- und Elektroindustrie sogar nur 4 Prozent“, so der Gesamtmetall-Präsident. Der dbb Chef ergänzte: „Der öffentliche Dienst ist nicht Vorreiter, sondern Schlusslicht in Kampf gegen die sachgrundlose Befristung. Es gibt zwar Vorbilder wie die Länder Berlin oder bald Sachsen, die auf die sachgrundlose Befristung verzichten. Aber in den Bundesministerien wurde in den letzten Jahren fast jeder zweite Beschäftigte befristet eingestellt. Im Geschäftsbereich des Bundesgesundheitsministeriums waren sogar acht von zehn Neubeschäftigten betroffen.“ Ein weiteres Beispiel dazu kam erneut aus dem Publikum. Jens Weichelt, Vorsitzender des Sächsischen Lehrerverbandes, erläuterte, dass in vielen Ländern Lehrkräfte immer noch nur bis zu dem Sommerferien eingestellt werden. „Dann endet der Vertrag, sie werden arbeitslos – um dann nach den Ferien erneut eingestellt zu werden. Das ist ein Unding!“ Die Untauglichkeit der bisherigen Pläne zeige sich auch mit Blick auf den öffentlichen DIenst, erklärte Silberbach: „Als einzigem Arbeitgeber steht dem Staat die sogenannte Haushaltsbefristung zur Verfügung: Er kann Arbeitsverträge mit der Begründung befristen, im Haushalt sei schlicht keine unbefristete Stelle vorgesehen. Aber dieser Aspekt spielt in der politischen Diskussion bisher so gut wie keine Rolle.“

Politik will gegensteuern

Über alle Parteigrenzen hinweg waren sich dann auch die vier Bundestagsabgeordnete aus dem Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales auf dem Podium einig: Die gängige Befristungs-Praxis im öffentlichen Dienst sei erstens ein Skandal und sollte zweitens mit höchster gesetzgeberischer Priorität angegangen werden. Insbesondere die Haushaltsbefristung als „Sonderrecht“ des öffentlichen Dienstes gehöre abgeschafft. Als besonders verwerflich bezeichneten die Politiker mit Blick auf den öffentlichen Dienst die Hire-and-fire-Praxis bei Lehrerinnen und Lehrern. „Das treibt mir die Zornesröte ins Gesicht“, sagte Wilfried Oellers (CDU/CSU) und appellierte an alle Landesregierungen „und damit an alle dort vertretenen Parteien“, diese unhaltbare Praxis endlich zu unterbinden.

 

„Der eigentliche Verursacher der kritischen Befristungsfälle ist der Staat selbst“, so Oellers weiter, das belegten schon allein die Zahlen. So seien in der freien Wirtschaft 92 Prozent der Arbeitsverhältnisse unbefristet, und mit einem kategorischen Ende der Befristungsmöglichkeiten ohne Sachgrund nähme man den privaten Arbeitgebern „das einzige unbürokratische und rechtsfeste Flexibilisierungsinstrument“. Damit sprach Oellers bewusst gegen die Absichtserklärung im Koalitionsvertrag zur kategorischen Beendigung sachgrundloser Befristungen. „Ich halte das nicht für sinnvoll, die Befristungen werden zu Unrecht pauschal an den Pranger gestellt.“ Dabei bleibe vollkommen unberücksichtigt, dass Befristungen in der Privatwirtschaft oft auch eine Brückenfunktion zukomme: 43 Prozent der zunächst befristet Beschäftigten würden übernommen, bis zu 25 Prozent verlängert. Dem mochte Gabriele Hiller-Ohm vom Koalitionspartner SPD allerdings nicht folgen: „Wir wollen die sachgrundlose Befristung überall abschaffen“, stellte sie klar. „Befristete Arbeitsverhältnisse sind stets eine schwierige Situation für die Beschäftigten. Sie treffen insbesondere jüngere Menschen, die sich dadurch existenziellen Fragen ausgesetzt sehen – ob es nun um Familienplanung oder den schlichten Lebensunterhalt geht.“

Kritik an den Befristungs-Abschaffungsplänen der Großen Koalition kam erwartungsgemäß von den Vertretern der beiden Oppositionsparteien im Bundestag. Während Markus Kurth (Bündnis 90/Die Grünen) ähnlich wie Oellers „überhaupt keinen Sinn“ in der im Koalitionsvertrag formulierten Strategie erkennt und ein bürokratisches Ungetüm auf die Arbeitgeber zukommen sieht („Man könnte meinen, ‚Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht‘, ist der Wahlspruch der Groko“, unkte Kurth), warnte Till Mansmann (FDP) vor einem „Schönwetter-Gesetz“: In Zeiten, in denen es aufgrund der konjunkturellen Entwicklung nahezu Vollbeschäftigung gebe, seien Befristungen naturgemäß kein Personalinstrument. „Wenn die Konjunktur aber schlechter wird, und das tut sie gerade, braucht die Wirtschaft eine sozialpolitisch sinnvolle Option, um Menschen wenigstens befristet statt gar nicht zu beschäftigten.“ Als zielführender nannten die beiden Abgeordneten eine inhaltliche Überarbeitung der Befristungsgründe und eine klare Absichtsdefinition für das Gesetz. „Mit Ihrem Vorhaben verhindern Sie nämlich nicht eine einzige Kettenbefristung“, stellte Till Mansmann Richtung Koalition klar. Kurth ergänzte, dass viel mehr „Ausweich-Manöver der Arbeitgeber“ zu erwarten seien, um die „ohnehin vollkommen willkürlichen Schwellenwerte“ der bislang formulierten Befristungs-Beendigung zu umgehen.

Nicht nur der Zeitplan bleibt unklar

Dass die Diskussion um Befristungen – mit und ohne Sachgrund; Kettenbefristungen etc. – vielschichtig ist, zeigte auch eine weitere Wortmeldung aus dem Publikum. Christina Dahlhaus, Bundesvorsitzende der Kommunikationsgewerkschaft DPV (DPVKOM), berichtete etwa vom „Entfristungsprogramm“ der Deutsche Post: Wer zwei Jahre sachgrundlos befristet angestellt war, kann hier unbefristet angestellt werden – vorausgesetzt, in der Zeit hat man nicht mehr als zwei Arbeitsunfälle mit einem bestimmten Schadenswert verursacht und war nicht mehr als 20 Tage krank. „Hier hätte ich mir von der Politik eine nachhaltige Kritik an einer solch gesundheitsgefährdenden Unternehmenspraxis gewünscht“, so Dahlhaus. Auch die Frage nach der Mitbestimmung durch die Betriebs- oder Personalräte sei aktuell in den Koalitionsplänen noch völlig unklar.

Über den weiteren Gesetzgebungsprozess wussten die beiden Vertreter der Koalitionsparteien lediglich zu berichten, dass derzeit im Bundesministerium für Arbeit und Soziales ein Referentenentwurf entstehe. Eigentlich solle das Gesetzesvorhaben noch in diesem Jahr abgeschlossen werden, so die SPD-Abgeordnete Hiller-Ohm. Doch die Vorstellungen gingen wohl noch sehr weit auseinander, räumte sie ein. Die Erkenntnisse aus der Diskussion mit dbb und Gesamtmetall wollen Hiller-Ohm und Wilfried Oellers jedenfalls mitnehmen und in die Entwurfsarbeit einbringen.

Vor diesem Hintergrund bilanzierte Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer bei Gesamtmetall, dass die Diskussionsveranstaltung gerade zur rechten Zeit stattgefunden habe – auch wenn einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich mit Blick auf die tatsächliche Ausgestaltung des Gesetzes gerade von den Koalitionsvertretern mehr „Butter bei die Fische“ (so der Zweite dbb Vorsitzende Friedhelm Schäfer) gewünscht  hätten. Der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach resümierte: „Das Ziel aller Arbeitgeber, ob öffentlich oder privat, muss sein, Fachkräfte zu gewinnen und zu binden. Hierfür brauchen wir eine gut durchdachte, handhabbare Reform des Teilzeit- und Befristungsgesetzes. Dem Staat stünde es dabei gut zu Gesicht, im eigenen Laden mit gutem Beispiel voranzugehen. Die Absichtserklärungen im Koalitionsvertrag werden diesem Anspruch aber noch in keiner Weise gerecht.“

 

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