dbb Jahrestagung

Für ein neues Verhältnis von Staat, Bürgerinnen und Bürgern

Einigkeit und Recht und Freiheit: Bei der dbb Jahrestagung ging es auch um die Frage, vor welchen gesellschaftlichen Herausforderungen die Bundesrepublik 30 Jahre nach der Wiedervereinigung steht. Darüber diskutierten Wolfgang Schäuble, Herfried Münkler, Kevin Kühnert und Jens Teutrine.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ging in seinem Eingangsvortrag zunächst auf den Prozess der Deutschen Einheit ein. Dieser habe „nicht nur mutige politische Entscheidungen gefordert, sondern auch die engagierte Arbeit der Menschen in der öffentlichen Verwaltung.“ Heute seien viele Führungspositionen in der Verwaltung in Ostdeutschland immer noch mit Westdeutschen besetzt. „Der Grad der Einheit misst sich aber auch an den gleichen Startchancen für alle.“ Daran gelte es zu arbeiten, denn auch wenn die Einheit formal lange vollzogen sei: „Die Einheit von Fühlen und Denken ist immer noch nicht erreicht.“ Dies könne aber unter anderem dadurch gelingen, wenn die Menschen in Ost und West anstehende Herausforderungen und Umwälzungen wie die Digitalisierung gemeinsam angegangen würden.

Mit Blick auf das heutige Verhältnis von Staat und Verwaltung auf der einen und Bürgerinnen und Bürgern auf der anderen Seite sagte Schäuble, dass dieses immer neu austariert werden müsse. In Zeiten der Verunsicherung durch globale Herausforderungen – wie eben Digitalisierung, aber auch beispielsweise auch den Klimawandel – sei der Wunsch nach einem starken Staat nachvollziehbar. „Uns muss aber klar sein: Aus diesem Wunsch erwächst eine Anspruchshaltung. Diese (teils überzogenen) Erwartungen können den Staat überfordern und in der Folge zu Enttäuschung oder sogar Wut führen. Und: Je mehr Verantwortung wir an der Staat abgeben, desto enger machen wir unsere eigenen Spielräume“, so der Bundestagspräsident. Der Staat müsse daher lernen, sich selbst zurückzunehmen. „Verwaltung ist kein Selbstzweck, sondern notwendig gegen Chaos und Willkür. Aber wir müssen die richtige Balance finden. Konkret: Jede Schulnote kann heute verwaltungsgerichtlich überprüft werden. Das kann lähmen. Verwaltung braucht Ermessensspielräume – und gleichzeitig den Mut, sie auch zu nutzen.“   

Das Video der Rede

In der anschließenden Podiumsdiskussion ging es insbesondere um Fragen, wie das Verhältnis zwischen bürgerlichem Engagement sowie Staat und Verwaltung austariert werden könne. Politikwissenschaftler Herfried Münkler sagte: „Wer darüber nachdenkt, den Staat sicht- und erlebbarer zu machen, muss klären, auf welchen Staatsbegriff Bezug genommen wird. Die Unterscheidung liegt zwischen der Wahrnehmung von politischem Handeln als Beruf und dem freiwilligen Engagement der Zivilgesellschaft. Wo professionelle Politik professionell ausgeübt wird, herrscht fachliche Effizienz. Ehrenamtliches Engagement wird allerdings zurückgedrängt.“ Abhilfe könnten „bürger-partizipative Ordnungen schaffen, die eine Art generationsbewusstes ‚Könnensbewusstsein‘ erzeugen“.

Kevin Kühnert, Juso-Vorsitzender und seit einem Monat stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD, betonte, ein aus seiner Sicht wesentlicher „Engagement-Killer“ seien die jeweiligen materiellen Möglichkeiten der Menschen. Vom Staat erwarte er, Demokratie dorthin zu tragen, wo die Menschen leben. „Das muss zur politischen Priorität gehören. Sonst laufen wir Gefahr, Strukturen vor allem in der Fläche zu vernachlässigen. Was funktioniert ist, Menschen ernst zu nehmen und Teilhabe sicherzustellen – in jedem Alter, an jedem Ort. Wir müssen wieder einen kleinsten gemeinsamen Nenner entwickeln, was ein demokratisches soziales Gemeinwesen bereitstellen muss. Und zwar nicht ausgehend von der Frage, was kostet das, sondern geleitet von der Überlegung: Was gehört zu einem guten Leben? Das wird der Markt nicht regeln“, so der SPD Vize.

Jens Teutrine, Landesvorsitzender der Jungen Liberalen Nordrhein-Westfalen, beklagte, dass das Interesse für parteipolitische Botschaften von Großstädten hin zu den ländlichen Regionen und von West nach Ost stark abfalle. „Um hier gegenzusteuern plädieren wir schon lange für die Senkung des Wahlrechts auf 16 Jahre. Umfragen zeigen, dass diese Altersgruppe politisch die aktivste und engagierteste ist.  Wer früh zum ersten Mal wählt, wird wieder wählen. So binden wir junge Menschen an die Demokratie und Gesellschaft. Das kann nicht unwesentlich zur Befriedung unserer Gesellschaft beitragen.“

Das Video der Rede

 

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