Die Seidenstraße und der digitale Staat

Mitte Juni kamen nacheinander die G7-Staaten, die NATO-Mitglieder sowie die Spitzen der EU und die europäischen Staats– und Regierungschefs mit dem neuen US-Präsidenten zusammen. Die USA setzen wieder auf ihre Verbündeten, auch auf die europäischen, wollen die NATO stärken und loben die Europäische Union. Statt allein auf den pazifischen Raum zu schauen, soll nun eine neue Weltallianz geschmiedet werden, die Allianz der Demokratien. Es sind die großen Herausforderungen der Zeit, denen der alte Westen gemeinsam begegnen will: die Überwindung der Pandemie, der Aufbau einer digitalisierten, klimaneutralen Wirtschaft und die Einhegung autoritärer und revisionistischer Mächte, die eine immer größere Gefahr für die liberalen Demokratien darstellen. Trotz aller erneuerten Freundschafts– und Solidaritätsbekundungen bleiben einige transatlantische Konfliktthemen offen, vor allem in der Handelspolitik, aber auch mit Blick auf den Umgang mit der neuen Weltmacht China. Die nächste Bundesregierung wird Farbe bekennen müssen. Auch die staatlichen Digitalisierungsziele sind nicht losgelöst von diesen geopolitischen Fragen zu sehen.

Der Umgang mit China ist von zentraler Bedeutung für die Zukunft der transatlantischen Beziehungen. Die USA wollen wieder die Führung übernehmen und ein Alternativangebot zur chinesischen Seidenstraße formulieren. Die EU ist aber längst nicht mehr frei in ihren Entscheidungen. Vor allem sind sich ihre Mitglieder nicht einig in der Antwort auf die chinesische Herausforderung. Ist China nun Partner, Konkurrent oder gar Systemrivale? Einzelne EU-Staaten sind bereits fest mit dem Seidenstraßenprojekt verbunden. In Südosteuropa, auch in Kandidatenländern auf dem Westbalkan, locken die chinesischen Infrastrukturinvestitionen und scheinbar großzügigen Kredite. China will mit dem gigantischen Seidenstraßenprojekt einseitige Abhängigkeiten schaffen.

Für Deutschlands bisherigen nach allen Seiten offenen Kooperationskurs werden die Räume eng. Seine Wirtschaft ist aufs Engste mit China verflochten, in weiten Teilen vom fernöstlichen Markt abhängig. Zwar findet in der deutschen Industrie ein Umdenken statt. Die Regierung bleibt aber ihrem eingeschlagenen Weg treu. Erst im Dezember hatte die deutsche EU-Ratspräsidentschaft ein Investitionsabkommen zwischen der EU und China durchgepeitscht, obwohl dieses Abkommen wenig Garantien bietet und in Washington, wo die Biden Administration sich gerade auf die Amtsübernahme vorbereitete, mit Verwunderung zur Kenntnis genommen wurde.

Deutschlands Rolle in Europa kann nur die einer Führungsmacht auf Augenhöhe mit den EU-Partnern sein, Führung aber muss Berlin zeigen, weil Europa sonst ohne Kompass bleibt. Deshalb wird es sehr darauf ankommen, ob Berlin sich in der von Joe Biden ausgerufenen Allianz der Demokratien einfindet oder ob es weiterhin versucht, sich aus allen Händeln herauszuhalten. Eine Politik, die auf China als wirtschaftliches Eldorado, Russland als Rohstofflieferanten und die USA als Sicherheitspartner setzt und die EU bei alledem als moralische Supermacht betrachtet, wird schon bald an ihre Grenzen stoßen.

Diese Fragen betreffen keineswegs nur die Wirtschaft oder außenpolitisch Interessierte. Europa hat großen Nachholbedarf in der Digitalisierung seiner Infrastruktur, viele Mitgliedstaaten, allen voran Deutschland, auch ihrer öffentlichen Dienstleistungen. Da ist es nicht belanglos, ob die Datennetze, die in nicht ferner Zukunft alle Behördenvorgänge transportieren sollen, von chinesischen Firmen gestellt werden oder von europäischen. Von der Steuerung von Energienetzen, intelligentem Verkehr, Krankenhäusern etc. gar nicht zu sprechen. Es ist deshalb richtig, dass der Bundestag in diesem Frühjahr gegen den Willen des Kanzleramts und des Wirtschaftsministeriums hohe Hürden für die Firma Huawei aufgestellt hat, die eigentlich schon festzustehen schien für den 5G-Netzausbau. Der chinesische Techriese ist in dieser Zukunftstechnologie führend, wird aber wie alle anderen relevanten chinesischen Unternehmen auch von der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) kontrolliert. Es bleibt abzuwarten, ob die neuen Sicherheitsbestimmungen für die Netze ausreichen oder ob am Ende doch noch andere politische und wirtschaftliche Faktoren den Ausschlag für eine Zusammenarbeit mit Huawei geben.

Die USA wollen nun gemeinsam mit den Demokratien der Welt ein Gegenmodell anstoßen. Angesichts der europäischen Zerrissenheit und der teils bereits großen Abhängigkeit von China, auch des nicht zu unterschätzenden russischen Einflusses auf einige Mitgliedstaaten, den Berlin mit der Nordstream 2 Pipeline noch zu vergrößern bereit ist, stellt sich die Frage, welche Zukunft ein neuer Marshallplan haben kann. Einig sind sich die EU und die USA zumindest, dass es einen neuen gemeinsamen Technologierat geben soll. Dabei geht es um Standards der Digitalisierung und den Zugang etwa zu Halbleitern, ohne die es weder digitale öffentliche Dienste noch moderne Küchengeräte gibt. Allerdings gab es ein ähnliches Gremium bereits, und die Ergebnisse blieben überschaubar. Amerikaner und Europäer müssen aufpassen, dass sie sich nicht im Kleinklein divergierender Interessen verlieren, so wichtig die Stahlindustrie oder die CO2-Besteuerung auch sein mögen, und dabei überlebenswichtige Fragen unbeantwortet lassen. Ein digitaler Staat, der jener KPCh ein faktisches Mitspracherecht sicherte, wäre der Anfang vom Ende der Freiheit, wie sie das Grundgesetz und die Europäischen Verträge kennen.

 

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