• IDEENCAMPUS "Extrem menschlich"
    Bildergalerie
  • Eine junge Frau spricht auf der Bühne und schaut lächelnd ins Publikum
    Karoline Herrmann auf dem Ideencampus
  • Ein Mann spricht auf der Bühne und schaut ins Publikum
    Ulrich Silberbach auf dem Ideencampus
  • Ein Mann spricht auf der Bühne und schaut ins Publikum
    Dr. Danny Michelsen hielt den Fachvortrag "Was ist politischer Extremismus? Ein Einstieg in und ein Überblick über ein komplexes Thema"
  • Ein Mann spricht auf der Bühne und schaut ins Publikum
    Behnam Teimouri-Hashtgerdi (Polizist) bei seinem Tatsachenbericht
  • Ein Mann spricht auf der Bühne und schaut ins Publikum
    Rechter Aussteiger Christian Weißgerber bei seinem Tatsachenbericht
  • Ein junger Mann steht auf der Bühne und spricht ins Mikrofon
    Jens Teutrine (Junge Liberale, MdB) während der Unterhausdebatte
  • Eine junge Frau spricht auf der Bühne und schaut ins Publikum
    Annika Klose (SPD, MdB) während der Unterhausdebatte
  • Eine junge Frau spricht auf der Bühne und schaut ins Publikum
    Emilia Fester (Grüne Jugend, MdB) während der Unterhausdebatte
  • Ein junger Mann spricht auf der Bühne und schaut ins Publikum
    Maximilian Schulz (Linksjugend solid) während der Unterhausdebatte
  • Sechs junge Menschen stehen hinter Pulten auf der Bühne während einer Debatte
    Unterhausdebatte mit jungen Politiker*innen
  • ein junger mann steht auf der bühne und trägt seinen Poetry slam vor. Im Hintergrund wird synchrone Kalligraphie an die Wand projeziert.
    Poetry Slam (Jesko Habert - Kiezpoeten) mit synchroner Kalligraphie (Chris Campe - all things letters)
  • Ein junger Mann spricht auf der Bühne und schaut ins Publikum
    Philipp Mierzwa auf dem Ideencampus
  • Menschen sitzen in einem Saal und schauen zur Bühne
    Ideencampus „Extrem menschlich“
  • Ein junger Mann aus dem Publikum spricht in ein Mikrophon
    Ideencampus „Extrem menschlich“

Ideencampus „Extrem menschlich“

Entschlossen gegen staatsfeindliche Tendenzen vorgehen

dbb und dbb jugend fordern mehr Engagement im Kampf gegen extremistische Tendenzen in Staat und Gesellschaft. Wirkungsvolle Prävention muss bei der politischen Bildung ansetzen.

Beim Ideencampus „Extrem menschlich“ der dbb jugend stand am 21. Oktober 2021 in Berlin die Frage der Extremismus-Bekämpfung im Mittelpunkt. Junge Beschäftigte aus allen Bereichen des öffentlichen Dienstes diskutierten gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis, Bundestagsabgeordneten sowie Vertreterinnen und Vertretern parteipolitischer Jugendorganisationen über verschiedene Erscheinungsformen, Entstehung und wirkungsvolle Präventionsmaßnahmen. Einhelliger Tenor: Es braucht mehr Engagement im Kampf gegen extremistische Tendenzen in Staat und Gesellschaft.

Kein Platz für Extremisten im öffentlichen Dienst

„Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, das es mit allen Mitteln zu verteidigen gilt. Doch wer mit extremistischen Äußerungen und Taten unsere freiheitlich demokratische Grundordnung in Frage stellt, ist im öffentlichen Dienst fehl am Platz,“ betonte dbb Chef Ulrich Silberbach zum Auftakt des dbb jugend Ideencampus, der unter dem Motto „Extrem menschlich“ stand. Gerade der öffentliche Dienst als größter Arbeitgeber Deutschlands müsse eine Vorreiterrolle hinsichtlich Eindämmung und Bekämpfung demokratiefeindlicher Tendenzen übernehmen. „Die Dienstherrn und Arbeitgebenden müssen die Rahmenbedingungen für wirksame Extremismus-Prävention schaffen. Das erwarten die Kolleginnen und Kollegen“, machte Silberbach deutlich. Zur Verantwortung gehöre aber auch, Extremismus als gesamtgesellschaftliches Problem anzuerkennen. „Im Zeitalter von ‚hate-speech‘ und ‚fake-news‘ brauchen wir eine sachliche und fundierte Auseinandersetzung mit dem Thema Extremismus. Umso wichtiger ist es, genau hinzusehen und über die Gefahren aufzuklären, die von extremistischen Strömungen und ihren Akteurinnen und Akteuren für unser gesellschaftliches Zusammenleben ausgehen“, so der dbb Chef.

Prävention: Bildung und mehr Teilhabe

Die dbb jugend Vorsitzende Karoline Herrmann zeigte sich besorgt angesichts zunehmender extremistischer Gewalttaten. „In seinem Jahresbericht hat das Bundesamt für Verfassungsschutz bereits im Sommer eindrucksvoll aufgezeigt, wie rasant sich Extremismus im Schatten der Pandemie weiterentwickelt hat – und welche Kräfte weiterhin die Demokratie in Deutschland bedrohen. Von der künftigen Regierung erwarten wir, dass sie sich für eine solidarische Gesellschaft einsetzt – und zwar aus tiefster Überzeugung. Extremismus, egal welchen Ursprungs, schadet uns allen. Deshalb müssen wir jeglicher extremistischen Tendenz den Nährboden nehmen.“ Dafür sei es notwendig, neben der Stärkung der sozialen Sicherungssysteme auch für Chancengleichheit in der Bildung und gute berufliche Perspektiven für junge Erwachsene zu sorgen. „Die politische Bildung in den Schulen muss gestärkt werden – mit wirkungsvollen Unterrichtskonzepten, finanzieller Ausstattung, geschultem Personal und entsprechenden zeitlichen Freiräumen im Unterricht. Schneller geht es, wenn wir den Jugendlichen mehr Teilhabe an politischen Prozessen und Entscheidungen geben. Am besten funktioniert das über das Wahlrecht ab 16,“ forderte Herrmann.

Extremismus: Antithese des demokratischen Verfassungsstaats

Dr. Danny Michelsen, Geschäftsführer des Zentrums für Rechtsextremismusforschung, Demokratiebildung und gesellschaftliche Integration der Universität Jena, ging in seinem Fachvortrag dem Phänomen Extremismus auf den Grund und erklärte Extremismus als Sammelbegriff für alle Ideologien und Formen politischen Handelns, die essentielle Prinzipien des demokratischen Verfassungsstaates negieren, insbesondere die Menschenwürde und das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip. „Extremismus ist quasi die Antithese zu den Prinzipien des demokratischen Verfassungsstaats“, so Michelsen. Er skizzierte die bedenklich steigende Tendenz politisch motivierter Straftaten und steigender Mitgliedszahlen extremistischer Gruppierungen und warnte, dass die Zahl der still Sympathisierenden insbesondere im Bereich des Rechtsextremismus noch weitaus höher sei. Als Hauptmerkmale von Extremismus beschrieb der Wissenschaftler einen dogmatischen Absolutheits- und exklusiven Erkenntnisanspruch sowie ein extrem duales Freund-Feind-Denken. „Extremist:innen sind antipluralistisch und streben eine in ihrem Sinne homogene Gesellschaft an.“ Gewalt werde von vielen Extremist:innen als legitimes politisches Mittel betrachtet, sei jedoch primär kein notwendiger Bestandteil extremistischen Handelns. Michelsen erläuterte auch die Unterschiede zwischen Rechts- und Linksextremismus. Während die Rechtsextremist:innen einen völkischen Nationalismus und eine ethnisch homogene Volksgemeinschaft anstrebten, in der Volk und Staat zu einem Reich zerschmelzen und so die „wahre“ Volksherrschaft verwirklicht wird im Gegensatz zum verhassten, die Nation vermeintlich zerreißenden und schwächenden Liberalismus, verabsolutierten Linksextremist:innen das Prinzip menschlicher Fundamentalgleichheit auf Kosten der Rechtsstaatlichkeit. Bei ihnen gäben zwei ideologische „Großfamilien“ den Ton an: Anarchismus („keine Macht für niemanden“) und Kommunismus als völlige Unterordnung des Einzelnen unter die Belange der den großen revolutionären Zielen verschriebenen sozialen Gemeinschaft. Michelsen stellte klar: „Eine politische Linke, die eine grundlegende Transformation der kapitalistischen Wirtschaftsordnung anstrebt, hierbei aber die Grundprinzipien des demokratischen Verfassungsstaats achtet, ist nicht extremistisch.“ Der Extremismus-Experte thematisierte auch die so genannten „Reichsbürger“ und die Querdenker-Bewegung als „tendenziell extremistische Phänomene jenseits des klassischen Rechts-Links-Schemas“ und sieht auch hier „Potenzial für eine demokratiefeindliche Sammlung. Das darf nicht unterschätzt werden“, gab Michelsen den Zuhörenden mit auf den Weg.

Polizei: Zielscheibe für Gewalt

Behnam Teimouri-Hashtgerdi, 28 Jahre jung und seit sieben Jahren Polizeibeamter in Berlin, berichtete auf dem Ideencampus von den Auswirkungen extremistischer Entwicklungen auf seinen Berufsalltag. „Ich bin eine Zielscheibe der Gesellschaft – positiv wie negativ.“ Zum einen nähmen sich junge Menschen ihn zum Vorbild, wollten wie er auch Polizist werden. „Da diene ich gerne als Berufs-Zielscheibe.“ Doch die Polizei sei heutzutage eben vor allem auch Zielscheibe für den Unmut über die Politik, der sich immer häufiger in Form von Gewalt gegen die Beamtinnen und Beamten Bahn breche. „Die Zeiten, in denen Gewalt gegen Polizist:innen eine Ausnahme war, sind lange vorbei“, stellte Teimouri-Hashtgerdi klar, „unser Gewaltmonopol wird zunehmend in Frage gestellt. Weniger Durchsetzungskraft, weniger Personal, weniger Rückhalt von Politik und Gesellschaft – das ist die Formel, die über die Jahre zu einer massiven Zunahme der Gewalt gegen Polizist:innen geführt hat“, ist sich der Beamte sicher. Hinzu komme ein „gewisser Gewöhnungseffekt“ auf allen Seiten, der nicht weniger fatal sei. „Wenn ich es nicht mehr für erwähnenswert halte, dass ich im Dienst mit Stühlen beworfen und geschlagen wurde, weil Kolleginnen und Kollegen Steine abbekommen haben oder überfahren wurden, stimmt etwas in der Wahrnehmung nicht mehr“, machte Teimouri-Hashtgerdi deutlich. Man müsse wieder dahin kommen, dass jede Beleidigung, jedes Bespucken, jeder Angriff auf öffentlich Bedienstete grundsätzlich nicht akzeptiert werden dürfe. „Angriffe auf Repräsentanten sind Angriffe auf uns alle. Relativierungen sind fehl am Platz. Die Polizei ist nicht der Prügelknabe der Nation. Wenn wir unseren Rechtsstaat bewahren wollen, müssen wir die Arbeit der Polizei anerkennen, wertschätzen und verteidigen“, forderte der junge Polizist.

Ex-Neonazi: „Ich hatte andere Möglichkeiten, aber ich wollte Nazi sein“

Christian Weißgerber, Jahrgang 1989, gehörte bis 2010 zur Führung der militanten Neonazi-Splittergruppe der „Autonomen Nationalisten“ in Thüringen. 2010 zog er sich aus der rechten Szene zurück und klärt seit 2012 in Schulen, Universitäten und Veranstaltungen über die extreme Rechte und ihre moderateren Ausläufer auf. Beim Ideencampus erzählte der heutige Kulturwissenschaftler, Autor, Übersetzer und Bildungsreferent seine Geschichte: „Ich hatte unzählige andere Möglichkeiten, aber ich wollte Nazi sein.“ Weißgerber berichtete von seiner Kindheit in Eisenach, von schwierigen familiären Verhältnissen, stilisierte sich jedoch nicht als Opfer widriger Lebensumstände und stellte auch klar, dass er nicht von raffinierten Funktionären verführt wurde. Er zeichnete nach, wie die Enttäuschung vom politischem Alltagsgeschehen, das Misstrauen gegenüber dem gesellschaftlichen Establishment sowie die „gewöhnlichen“ Alltagsrassismen im Osten unmittelbar nach der Wiedervereinigung eine Weltsicht hervorbrachten, die den jungen Mann letztlich schnurstracks und in vollem Bewusstsein in die rechtsextreme Szene führten. „Ich fand Nazis, sowohl die historischen als auch die Neonazis, faszinierend und spannend. Auch, dass man sich vor denen gefürchtet hat, gefiel mir“, berichtete Weißgerber. Seinen Krisenerlebnissen und Ohnmachtsgefühlen aus dem privaten Bereich konnte er mit seiner Rechtsdrift etwas entgegensetzen, hatte eine Möglichkeit auszubrechen und sich über andere zu erheben. Als Gymnasiast fing er an, sich mit Nazimusik zu beschäftigen, mit geschichtsrevisionistischen und verschwörungserzählerischen Geschichten, wofür er eine gewisse Anerkennung erhalten habe. Zudem hatte er relativ früh das Gefühl, Dinge aufzugreifen, die in seinem Umfeld ganz normal waren – Alltagsrassismen: Man ging zum Einkaufen auf den „Fidschimarkt“, auf Klassenfahrten war Nazirockmusik wie sonst auch zu hören, „das war spaßig“, erzählte Weißgerber. „Ich habe das dann irgendwann einfach ernst genommen und diesen spaßigen Anfängen einen bestimmten erzählerischen Rückhalt gegeben, mich in diese Richtung gebildet und mir Leute gesucht, die ähnlich drauf waren, die mir Zugang zu noch mehr entsprechender Bildung und Perspektiven gaben.“ So wurde Weißgerber aktiver Nazi, einer der Wortführer bei den „Autonomen Nationalisten“, kein Mitläufer, sondern ein aktiv Gestaltender. Der Ausstieg aus der rechten Szene kam schleichend – mit vielen Gesprächen mit Andersdenkenden, denen sich Weißgerber nie verweigert hat, mit einer Verbesserung der finanziellen Verhältnisse. „Ich wollte auch einfach nicht mehr so viel Zeit investieren in den Rechtsextremismus, hinzu kamen nach und nach auch viele inhaltliche Zweifel – denn die große Revolution konnten wir nicht durchsetzen, das war irgendwann klar“, berichtete Weißgerber, und so habe er sich nach und nach zurückgezogen. „Das ist ein Distanzierungs- und Deradikalisierungsprozess, der bis heute andauert. Das findet in Kopf und Körper statt“, erläuterte er, „man muss anders denken, anders reden, sein Verhalten ändern, anders fühlen, anders lieben – das geht nicht von heute auf morgen.“ Im Zuge seines Ausstiegs sei ihm auch bewusstgeworden, dass „alle Strukturen, die ich aufgebaut habe, alle Menschen, die ich verletzt habe oder denen ich irgendwelches organisatorisches Know-How beigebracht habe – dass das alles fortlebt über meine Abwesenheit in der Szene hinaus“. Deshalb müsse er Verantwortung übernehmen und im Rahmen seiner Möglichkeit gegen diese Strukturen vorgehen. „Deswegen mache ich Aufklärungsarbeit, versuche, mit Menschen darüber zu sprechen, wie nationalistische und rassistische Politiken funktionieren. Das ist das, was ich für meine sinnvolle Aufgabe halte“, so Weißgerber.

Mit Blick auf Präventionsmaßnahmen gegen Extremismus beschrieb der Kulturwissenschaftler, dass man sich vor Augen halten müsse, dass das Sozialgefüge in der rechten Szene definitiv besser sei als „draußen in der normalen Gesellschaft“. „Da geht’s einem wirklich gut, man kümmert sich umeinander, hält zusammen. Die außenstehende demokratische Gesellschaft hat überzeugten Neonazis nichts anzubieten. Dort kann man eben nicht machen, was man will. Es gibt keine demokratischen Auffangmechanismen für die Bedürfnisse von Rechtsradikalen. Darum müssen wir uns kümmern und dafür sorgen, dass sich das ändert. Wir brauchen einen massiven Ausbau von Bildungs- und Sozialsystem. Wir müssen Partizipation und Chancengleichheit, Demokratie wahrmachen, erfahrbar, greifbar machen“, mahnte Weißgerber.

„Extremist ist Mist“ – Debatte mit jungen Politiker:innen

Im Format Unterhausdebatte diskutierten beim Ideencampus unter der Überschrift „Extremist ist Mist“ fünf junge Politiker:innen, drei von ihnen frisch gewählte neue Bundestagsabgeordnete, über Ursachen und Bekämpfung von Extremismus. Einig waren sich alle Diskutierenden darin, dass Extremismus als gesamtgesellschaftliches Problem dauerhaft thematisiert und bekämpft werden muss. Der öffentliche Dienst sei in diesem Zusammenhang ein besonderer Akteur, da zum einen seine Beschäftigten selbst oft Betroffene von Extremismus, in Einzelfällen aber auch extremistisch Handelnde seien, und zum anderen ihm als Exekutive insbesondere im Bildungs- und Sozialarbeits-, aber ebenso im Justizbereich ein wesentlicher Part bei der Extremismus-Bekämpfung zukomme. Auch beim Thema Gewalt gegen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes zeigten sich die jungen Politiker:innen in einer Null-Toleranz-Haltung einig und forderten einhellig entsprechende Präventions- und Schutzkonzepte.

Gernot Carlos Nahrung, Bundesvorsitzender der Jungen CDA, forderte, Extremismus dauerhaft zu thematisieren und „nicht nur, wenn wieder irgendwas passiert ist und die Medien darüber berichten“. Auch „Ausschließeritis“ sei ein großes Problem: „Es hilft wenig, wenn bei rechtsextremen Vorfällen gefordert wird, sich mehr mit dem Linksextremismus zu beschäftigten, und wenn am linken Rand etwas passiert, soll der Rechtsextremismus bitte erstmal betrachtet werden. So drehen wir uns im Kreis. Wir brauchen klare Kante gegen jede Form von Extremismus“, machte Nahrung deutlich. Um Menschen weniger anfällig für extremistische Strömungen zu machen, müsse das Vertrauen in den Staat gestärkt werden. „Es gibt wirklich viele Menschen, die sich Sorgen machen um ihre Zukunft und sich alleine gelassen fühlen. Wer sich für sie nicht interessiert, darf sich nicht wundern, wenn sie kein Vertrauen mehr in den Staat haben.“ Auch den Gewerkschaften kommt aus Nahrungs Sicht eine wichtige Rolle bei der Präventionsarbeit in Sachen Extremismus zu: „Gewerkschaften sind gelebte Vielfalt und Demokratie, Gewerkschaften sorgen für Ausgleich. Am Ende steht immer ein Kompromiss. Das heißt nicht, dass jemand verloren oder gewonnen hat, sondern das ist das Ergebnis eines demokratischen Prozesses.“

Annika Klose, SPD Berlin, neu in den Deutschen Bundestag gewählt, warb für deutlich ganzheitlichere Prävention. „Die sinnvollste Prävention sorgt dafür, dass extremistische oder radikale Bewegungen erst gar nicht entstehen. Wir brauchen eine bessere Schulbildung mit entsprechend qualifiziertem Personal und frühestmögliche Intervention. Ein Demokratiefördergesetz könnte dazu beitragen, entsprechende Mittel bereitzustellen und Programme zu verstetigen.“ Auch Klose betonte die Bedeutung der Gewerkschaften im Kampf gegen den Extremismus. „Wir haben gesehen, dass ein entschieden positioniertes Auftreten und Aufklärungsarbeit gegen extremistische Tendenzen auf betrieblicher Ebene sehr wirkungsvoll sein kann – so konnten die immer häufiger auftretenden Schwarzen Listen, hinter denen sich extremistische Parteien und Organisationen verstecken, bei weitem nicht die von ihnen erhofften Erfolge erzielen.“

Jens Teutrine von den Junge Liberalen und ebenfalls frisch gewähltes neues Mitglied des Deutschen Bundestages, sieht insbesondere die Politik in der Verantwortung, wenn es um vertrauensbildende Maßnahmen zwischen Staat und Bürger:innen geht. „Null-Toleranz gegenüber Gewalt und Extremismus ist richtig und wichtig, aber ebenso entscheidend ist Transparenz. Es war beispielsweise nicht hilfreich, dass sich der Bundesinnenminister anfangs vehement dagegen gewehrt hat, behördenintern Studien zur Extremismus-Lage durchzuführen. So etwas ist nicht vertrauensbildend, sondern sät eher Misstrauen. Ebenso wie die ablehnende Haltung gegenüber internen Ermittlungsinstitutionen. Dabei könnten gerade solche Maßnahmen Fakten gegen Vorurteile schaffen und so einen Schutzwall für den öffentlichen Dienst schaffen.“ Auch Teutrine warnte vor punktueller Effekthascherei beim Thema Extremismus: „Wir dürfen nicht immer auf den anderen Extremismus verweisen, sondern müssen uns jeden Fall so anschauen, wie er ist. Nicht verharmlosen, nicht gleichsetzen. Die politische Linke darf nicht schweigen bei Linksextremismus, und der Kampf gegen Rechts darf nicht als allein als linkes Projekt geframt werden.“

Emilia Fester von Bündnis 90/Die Grünen aus Hamburg und Dritte im Bunde der neu in den Bundestag gewählten Jung-Abgeordneten warb ebenso wie ihre Kollegin von der SPD für ein Demokratiefördergesetz, um „vernünftige Prävention und besseren Opferschutz“ zu realisieren. Man müsse die Zivilgesellschaft und Projekte zur Extremismus- und Terrorbekämpfung viel besser unterstützen. „Es geht nicht darum, dass sich Innenpolitiker immer mit dem Thema Extremismus beschäftigen, das ist ihr Job. Wir brauchen vielmehr in der breiten Gesellschaft eine Sensibilisierung und Mobilisierung, wenn Strömungen wie die Querdenker auftauchen und stärker werden. Da müssen wir dann frühzeitig als Zivilgesellschaft zusammenstehen und Bewegungen etwa wie ‚unteilbar‘ auf die Beine bringen, um einen Gegenpol zu setzen.“ Fester äußerte mit Blick auf zukünftige Politikgestaltung die Hoffnung, dass „wir mit den vielen neuen jungen Bundestagsabgeordneten auch neue Kommunikationswege aufmachen, um einen direkteren Draht zur Politik zu bekommen. Gerade unsere Generation hat viele Zukunftsängste, weil es in letzten 16 Jahren viel Stagnation gab – Umweltpolitik und Klimaschutz, Sozialpolitik – es dominiert das Gefühl, dass Politik nicht genug für uns tut. Das müssen wir jetzt ändern, wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass Politik sozialen Ausgleich schafft, die Umwelt schützt und unser Zusammenleben strukturiert. Das führt dann hoffentlich zu weniger Frust in der Gesellschaft und damit auch zu weniger Raum für extremistische Strömungen.“

Maximilian Schulz von der Linksjugend Solid forderte mehr Mittel für umfassende Extremismus-Analysen. „Nur, wenn wir wissen, womit wir es konkret zu tun haben, wo die Ursachen liegen und wie die Strukturen funktionieren, kann passgenaue Prävention geleistet werden.“ Zur Analyse gehöre ganz sicher auch der genaue Blick auf die Situation der Menschen im Land, betonte Schulz. „Der Aufstieg der AfD zehrt ganz klar von Abstiegsängsten, von sozialer Schieflage. Die Politik, jede Partei, muss raus aus ihrer jeweiligen Echo-Kammer und der Selbstbetrachtung und sich mit den Menschen und ihrer jeweiligen Sachlage auseinandersetzen. Und sie im Sinne von mehr Partizipation wieder mit ins Boot holen. Sonst tun das andere.“

Eine künstlerische Poetry-Slam-Zusammenfassung des Tages lieferte zum Abschluss des Ideencampus Jesko Habert von den „Kiezpoeten“, unterstützt von Chris Campes synchroner Kalligraphie („all things letters“) – ein extrem guter Schlusspunkt, wie der langandauernde Applaus des Publikums bestätigte.

 

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