Einkommensrunde der Länder
Öffentlicher Dienst: Tausende Beschäftigte im Warnstreik
Die Warnstreiks im öffentlichen Dienst nehmen weiter an Fahrt auf. Diese Woche war insbesondere Norddeutschland betroffen.
Die Beschäftigten der Länder fordern 10,5 Prozent, mindestens jedoch 500 Euro höhere Einkommen pro Monat. In bisher zwei Verhandlungsrunde hatte die Arbeitgeberseite (Tarifgemeinschaft deutscher Länder – TdL) jedoch kein Angebot vorgelegt.
„Wer Leistung fordert, muss Respekt zeigen! Und zwar in einer Form, die auch in den Geldbeuteln der Kolleginnen und Kollegen ankommt“, rief dbb Tarifchef Volker Geyer den gut 2000 Teilnehmern und Teilnehmerinnen einer Kundgebung vor dem Kieler Finanzministerium am 24. November 2023 zu. „Wenn im öffentlichen Dienst über eine halbe Million Stellen unbesetzt sind, werden die Menschen sonst dorthin gehen, wo sie bessere Bedingungen vorfinden. Nur wer gute Arbeitsbedingungen bietet, wird auf Dauer gute Leute halten können.“
Kai Tellkamp, Landesvorsitzender des dbb schleswig-holstein, stimmte zu: „Natürlich hängt es auch von den Einkommensbedingungen ab, dass Kolleginnen und Kollegen da sind, die bestmöglich für Bildung, Sicherheit, Sozialleistungen und Bürgerservice sorgen. Deshalb muss klar sein, dass der angestrebte Tarifabschluss auf die Beamten übertragen wird. Und zwar ohne jegliche Abstriche und Verzögerungen, sondern unter uneingeschränkter Beachtung der Verfassung.“
„Wer Nachwuchskräfte braucht in Zeiten des demografischen Wandels, der muss sie auch pflegen“, sagte Matthäus Fandrejewski, Vorsitzender der dbb jugend. „Die Bezahlung steht bei uns Jungen, den Fachkräften der Zukunft, in Zeiten der Inflation ganz oben auf der Prioritätenliste. Die dbb jugend fordert die Erhöhung der Entgelte für Auszubildende, Dualstudierende und Praktikant*innen um 200 Euro sowie die unbefristete Übernahme von Auszubildenden und Dualstudierenden in Vollzeit.“
„Die Daseinsfürsorge ist in akuter Gefahr. Es fehlen bereits heut über 500.000 Beschäftigte“, hatte der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach bei der Kundgebung vor über 4000 Demonstranten in Hamburg bereits am Tag zuvor deutlich gemacht. „Wenn die Länder jetzt nicht die Kurve kriegen und die Einkommen deutlich erhöhen, wird der öffentliche Dienst personell weiter ausbluten. In den nächsten zehn Jahren verlassen über 1,3 Millionen Beschäftigte den öffentlichen Dienst und gehen in den wohlverdienten Ruhestand. Angesichts der Bevölkerungsstruktur und der Geburtenrate ist klar: Der Staat kann froh sein, wenn er die frei werdenden Stellen halbwegs wieder besetzten kann. Die fehlenden 551.500 Menschen zu finden, die sich unter den aktuellen Bedingungen in den Dienst der Gesellschaft stellen wollen, erscheint da fast utopisch.“
Die Chefs mehrerer Fachgewerkschaften unter dem Dach des dbb machten in Hamburg deutlich, mit welchen konkreten Folgen die Bürgerinnen und Bürger rechnen müssen, wenn der öffentliche Dienst personell weiter ausblutet. Heiko Teggatz, dbb Vize und Vorsitzender der Bundespolizeigewerkschaft, mahnte für den Bereich der Inneren Sicherheit: „Polizeikräfte bundesweit gehen schon lange auf dem Zahnfleisch. Wenn eine Einsatzlage die nächste jagt, müssen wir irgendwann zwangsläufig priorisieren, welche Aufgaben mit welchen Ressourcen erledigt werden. Es ist aber Gift für das Vertrauen der Menschen in den Staat, wenn Verbrechensbekämpfung nur noch Mangelverwaltung ist.“
René Müller, Vorsitzender der Gewerkschaft Strafvollzug, berichtete: „Die Justiz ist am Limit. Das gilt nicht nur für die Gerichte, das gilt natürlich auch für die Justizvollzugsanstalten. Die Resozialisierung von Strafgefangenen findet kaum noch statt, weil die wenigen noch vorhandenen Kolleginnen und Kollegen darum bemüht sind, die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten. Gleichzeitig gibt es immer mehr Übergriffe auf das Gefängnispersonal. Diese Zustände sind ein Angriff auf das Gerechtigkeitsempfinden aller anständigen Menschen – keine Wunder, dass die Politikverdrossenheit im Land immer weiter wächst.“
Florian Köbler, Bundesvorsitzender der Deutschen Steuer-Gewerkschaft (DSTG), betonte die absolute Notwendigkeit eines starken linearen Tarifabschlusses sowie dessen Übertragung auf die Besoldung und Versorgung der Beamtinnen und Beamten in den Ländern: „Die Politik hat einen Eid auf die Verfassung geschworen, Unheil von Deutschland abzuwenden. Es ist ein Skandal und schwerer Fehler, den Tarifforderungen nicht gerecht zu werden und damit die Handlungsfähigkeit des Staates infrage zu stellen. Wir riskieren, dass unsere besten Kräfte in die freie Wirtschaft flüchten – oder gar nicht erst kommen. Es geht schlicht darum, ob Deutschland handlungsfähig bleibt. Was ist es für ein Zeichen, wenn der Staat die Beschäftigten so bezahlt, dass sie Wohngeld beantragen müssen? Schäbig!“
Für Auszubildende fordert der dbb 200 Euro mehr pro Monat sowie die unbefristete Übernahme. Auch in Hamburg sprach dazu Matthäus Fandrejewski, Vorsitzender der dbb jugend: „Die Privatwirtschaft ist schon heute in vielen Bereichen deutlich attraktiver für Nachwuchskräfte. Innerhalb des öffentlichen Dienstes drohen die Länder jetzt aber auch noch von Bund und Kommunen vollends abgehängt zu werden. Wir werden aber nicht zulassen, dass die Länderchefs sehenden Auges unsere Zukunft verspielen!“
Auch in Niedersachsen kam es am 23. November 2023 landesweit zu Warnstreiks. In Hannover versammelten sich über 2.000 Beschäftigte vor dem Finanzministerium, um für ihre Forderung nach 10,5 Prozent, mindestens 500 Euro mehr im Monat zu demonstrieren. Volker Geyer, der dbb Fachvorstand für Tarifpolitik, sagte bei der Kundgebung: „Kaum ein Tag vergeht, ohne dass in den Medien vom dramatischen Personalmangel im öffentlichen Dienst berichtet wird. Bildung, Sicherheit, Gesundheit, Infrastruktur… diese Liste lässt sich beliebig fortsetzen und überall zeigt sich das gleiche traurige Bild: Der Staat wurde auf Verschleiß gefahren und die noch vorhandenen Kolleginnen und Kollegen gehen auf dem Zahnfleisch. Zum Dank wollen die Länderchefs sie jetzt auch noch mit den Folgen der Inflation alleine lassen. Das ist keine Wertschätzung, das ist eine Unverschämtheit; gegenüber den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und gegenüber der Bevölkerung, die sich gerade in diesen unsicheren Zeiten mehr denn je einen handlungsfähigen Staat wünscht.“
Alexander Zimbehl, Vorsitzender des NBB – Niedersächsischer Beamtenbund und Tarifunion, machte mit Blick auf die schwierige Gewinnung von Nachwuchs und Fachkräften für den öffentlichen Dienst deutlich: „Die Tarifgemeinschaft deutscher Länder hat in zwei Verhandlungsrunden kein Angebot vorgelegt. Das ist keine Personalgewinnung, das ist Personalabschreckung! Wir erwarten von der TdL, dass sie sich endlich bewegt. Und wir erwarten vom niedersächsischen Finanzminister Gerald Heere, dass das Ergebnis nach den Tarifverhandlungen ohne Wenn und Aber auf die Beamtinnen und Beamten übertragen wird. Erst dann ist diese Einkommensrunde abgeschlossen!“
Auf dem Domplatz in Magdeburg hatten sich zeitgleich über 300 Beschäftigte versammelt. „Kein Entgegenkommen, keine Wertschätzung, kein Verständnis – manchmal fragen wir uns, was sich die Länder bei so einem Verhalten eigentlich denken“, kritisierte auch Herrmann-Josef Siebigteroth, Bundesvorsitzender der Fachgewerkschaft der Straßen- und Verkehrsbeschäftigten (VDStra), die Verhandlungstaktik der TdL. „Unsere Kolleginnen und Kollegen sind von der Inflation betroffen, sie müssen schwindende Personalressourcen ausgleichen und gleichzeitig wachsende Arbeitsanforderungen stemmen. Die verantwortlichen Politikerinnen und Politiker denken scheinbar, dass wir ohne eine Anpassung der Einkommen und der Arbeitsbedingungen unverändert weiterarbeiten können. Das ist illusorisch. Mit einem ‚weiter so‘ fahren die Länder den Karren vor die Wand.“
Am 22. November 2023 fand eine Mahnwache vor der Senatsverwaltung der Finanzen in Berlin statt. „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“, skandierten Mitglieder der gewerkschaft kommunaler landesdienst berlin (gkl). „Wir fordern die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) zur Aufgabe ihrer Blockadehaltung bei den aktuellen Tarifverhandlungen auf“, sagte Kerstin Gutwasser-Friebel, Vorsitzende der gkl berlin. „Wertschätzung gegenüber den Beschäftigten geht anders! Der Respekt für die Leistungen unserer Kolleginnen und Kollegen muss auch im Portemonnaie ankommen!“
Auch am 21. November 2023 hatte es bereits in mehreren Städten Aktionen gegeben. „Die Arbeitgebenden reden immer viel von Wertschätzung, doch wenn es darauf ankommt, diesen Worten Taten folgen zu lassen, sind sie plötzlich still“, prangerte Volker Geyer, dbb Fachvorstand Tarifpolitik, am 21. November 2023 in Chemnitz an. „Corona, Krieg, Kostensprünge: Seit knapp vier Jahren befinden wir uns im Krisenmodus. Seitdem sind es die Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst, die das Land am Laufen halten – trotz Personalmangel und Investitionsstau. Die Arbeitgebenden weigern sich jedoch, dies ordentlich anzuerkennen und halten uns mit leeren Phrasen hin. Das ist eine Dreistigkeit, die wir uns nicht länger gefallen lassen!“
Auch Steffen Winkler, stellvertretender Vorsitzender des SBB Beamtenbund und Tarifunion Sachsen, kritisierte die mangelnde Bereitschaft der TdL, in den öffentlichen Dienst zu investieren. Die geforderte Entgelterhöhung von 10,5 Prozent, mindestens aber 500 Euro, sei ein wichtiger Schritt in die Zukunft: „Aktuell fehlen dem Staat mindestens 551.500 Beschäftigte. In den nächsten zehn Jahren scheiden zudem 1,36 Millionen – das entspricht 27 Prozent der Beschäftigten – altersbedingt aus dem öffentlichen Dienst aus. Wie soll das zukünftig bei den derzeitigen Arbeits- und Entgeltbedingungen kompensiert werden?“ Er forderte die Arbeitgebenden und die Politik auf, „endlich langfristige Konzepte zu entwickeln und nicht immer nur zu schauen, wie man das Tischtuch möglichst knapp hält.“
In Düsseldorf machte die dbb jugend nrw mit einer ausgefallenen Aktion auf ihre Forderungen aufmerksam: Sie verteilte Schokolade, die im Stil eines 200 Euro Scheins verpackt war. Damit verlieh sie der Forderung nach einer angemessenen Entgelterhöhung Nachdruck – sie soll, anders als die Schokolade, nicht gleich wieder von der Inflation aufgefressen werden. „Höhere Gehälter sind ein Schlüssel, um qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für den Öffentlichen Dienst zu gewinnen und auch zu halten“, sagte Nicole Schorn, Tarifexpertin bei der dbb jugend in NRW. Viele Stellen in NRW, unter anderem in Sozialberatung und Krisenprävention, seien aktuell unbesetzt.
Bei einer Kundgebung in Saarbrücken vor 200 Teilnehmenden aus der Finanzverwaltung hob Ewald Linn, Vorsitzender des dbb saar, die Probleme durch die Inflation hervor: „Die starke Erhöhung der Lebenshaltungskosten seit 2022 haben die Beschäftigten vor große Herausforderungen gestellt, für die die Länder in der anstehenden Einkommensrunde eine Lösung finden müssen. Dabei erwartet der dbb von der Landesregierung und dem Landesgesetzgeber, dass das Tarifergebnis des jüngsten Tarifabschlusses von Bund und Kommunen auf die Landes- und Kommunalbeamtinnen und -beamten sowie auf die Pensionäre zeitgleich und systemgerecht übertragen wird.“
Seit der ergebnislosen zweiten Verhandlungsrunde organisiert der Berufsschullehrerverband Sachsen (LVBS) regelmäßig aktive Pausen und Warnstreiks in ganz Sachsen. Am 21. November demonstrierten Lehrkräfte am Berufsschulzentrum Freital-Dippoldiswalde gegen die ablehnende Haltung der TdL. Es war die siebte Aktion des LVBS dieser Art.
Mahnwachen an Berufskollegs gab es auch in Nordrhein-Westfalen. Zum Auftakt der Protestaktionen am 20. November erklärte Andreas Hilgenberg, Stellvertretender Bundesvorsitzender des Bundesverbands der Lehrkräfte für Berufsbildung (BvLB) in Gelsenkirchen: „Unsere Kolleginnen und Kollegen geben den Menschen Lebens-, Berufs- und akademische Perspektiven. Wer hier am Personal spart vergeudet unsere nachhaltigste Ressource - die sich durch Gebrauch sogar vermehrt – Wissen! Damit schwächen die Arbeitgebenden den wichtigsten Standortfaktor in Deutschland, die Innovationskraft.“