Deutscher Philologenverband (DPhV) / Verband Bildung und Erziehung (VBE)

Scharfe Kritik an Datengrundlage der ifo-Studie

Mit großer Irritation reagierte der DPhV am 14. Mai 2024 auf die aktuelle Studie des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung. In „Ungleiche Bildungschancen: Ein Blick in die Bundesländer“ stellen die Autoren fest, dass Bildungschancen in Berlin und Brandenburg höher seien als etwa in Bayern oder Sachsen. Dabei schneiden Letztgenannte seit Jahren in Leistungsvergleichen wesentlich besser ab als die vermeintlichen Gewinner.

DPhV-Bundesvorsitzende Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing sagt: „Es ist äußerst bedenklich, wenn ausgerechnet ein Wirtschaftsforschungsinstitut mit Daten von gestern eine leistungsvergessene Schulpolitik für morgen gestalten will.“

Im Detail führt Lin-Klitzing weiter aus: „Ludger Wößmann und die Ko-Autoren der genannten Studie beziehen sich im Mai 2024 auf Daten des Mikrozensus von 2018/2019, also auf Daten aus Vor-Corona-Zeiten und stellen daraus abgeleitet aktuelle Maßnahmen für mehr sogenannte Chancengerechtigkeit vor. Sie reduzieren in ihren Forschungsergebnissen den potenziellen Bildungserfolg oder -misserfolg der Schüler und Schülerinnen ursächlich auf zwei Faktoren, nämlich ausschließlich auf den sozioökonomischen Hintergrund der Eltern und deren Schulabschluss. Das relevante Kriterium für Bildungserfolg ist bei ihnen ausschließlich der Besuch eines Gymnasiums. Sie bewerten damit konsequent sämtliche Ausbildungsberufe und die ihnen zugrundeliegenden Bildungsabschlüsse als nicht erfolgreiche Bildungsbeteiligung. Gerade angesichts der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung von Ausbildungsberufen und Handwerk eine für ein Institut für Wirtschaftsforschung erstaunlich einseitige – oder besser abseitige – Interpretation von Bildungserfolg. Obwohl der Mikrozensus von 2018/2019 nur leistungsunabhängige Daten liefert, können oder wollen die Autoren und Autorinnen keine aktuellen Bildungsstudien zum Vergleich für ihr Bundesländerranking hinzuziehen. Unter konsequenter Ausblendung eines Ansatzes, der auch die Leistungen der Schüler und Schülerinnen in den Blick nimmt, kommen sie im Unterschied, beispielsweise zu den aktuelleren IQB-Bildungsstudien, die die für Bildung und Teilhabe relevanten Basiskompetenzen der Schülerinnen und Schüler erheben, denn auch zu einem konträren Ergebnis: Nicht Bayern und Sachsen liegen beim ‚Länderranking‘ oben, sondern Berlin, Brandenburg und Rheinland-Pfalz wird die relativ gerechteste Verteilung von Bildungschancen von Kindern mit verschiedenen familiären Hintergründen in Deutschland attestiert. Interessanterweise findet sich angesichts des von der Studie attestierten höchsten Ranges für Berlin für dessen relative Bildungsgerechtigkeit das bemerkenswerte Detail, dass genau dort die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder mit ‚höherem Hintergrund‘ ein Gymnasium besuchen, am höchsten von allen Bundesländern ist und dort knapp 70 Prozent (68,9 Prozent, s. S. 5) beträgt.“

Der Deutsche Philologenverband geht davon aus, dass mit der für diesen Zweck ausgewählten Datengrundlage des Ifo-Instituts ein eher unscharfer Blick auf die Bildungschancen von Schülerinnen und Schülern in der Vor-Coronazeit geworfen wird und dass die daraus geschlussfolgerten Maßnahmen des gewählten wissenschaftlichen Unterbaus in seiner beschriebenen Engführung nicht bedurften.

Der VBE Bundesvorsitzende Gerhard Brand sagte zu den Ergebnissen der Studie: „Es ist ein starkes Stück, wenn hier gezeigt wird, dass sich die Bildungschancen in den Bundesländern so stark unterscheiden. Es ist inakzeptabel, dass deutschlandweit die Wahrscheinlichkeit, ein Gymnasium zu besuchen, stark von dem ökonomischen und dem Bildungshintergrund der Eltern abhängig ist. Dass die Wahrscheinlichkeit aber auch noch so stark vom Wohnort abhängig ist, muss auch ein Signal an die Bundespolitik sein. Das im Grundgesetz verbriefte Recht auf gleichwertige Lebensverhältnisse ist so nicht gewährleistet.“

Angesichts der Tatsache, dass das Bundesbildungsministerium gerade einen Vorschlag zur Ausgestaltung des neuen Digitalpakts vorgelegt hatte, in dem von einer ‚letztmaligen Unterstützung‘ die Rede ist, sagte Brand. „Wir sehen, dass es Investitionen des Bundes braucht, um die Chancengleichheit zu erhöhen und für alle Kinder und Jugendlichen qualitativ hochwertige Lern- und Lehrverhältnisse zu sichern. Der Bund darf sich nicht wegducken, sondern muss Verantwortung übernehmen.“

Die Auswertung des ifo-Instituts bezieht sich auf Daten des Mikrozensus aus dem Jahr 2018 und 2019. Der VBE-Chef Brand erklärt dazu: „Durch den Katalysator Coronapandemie und das fortlaufende Auseinanderdriften von Bildungschancen kann sogar eine negative Entwicklung angenommen werden. Schon deshalb brauchen wir Maßnahmen wie das Startchancen-Programm, einen neuen Digitalpakt und weitere Investitionen von Bund und Ländern, um die Schulen mit allem Notwendigen auszustatten.“

 

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