• Digitales Panel beim dbb dialog "Bildung im digitalen Zeitalter – Herausforderungen meistern, Potenziale nutzen"

dbb dialog „Bildung im digitalen Zeitalter“

Schulen: Pandemie verschärft bekannte Probleme

Der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach hat Versäumnisse in der Bildungspolitik der vergangenen Jahre angeprangert.

Die aktuelle Situation an den Schulen stand am 14. April 2021 im Fokus der Online-Veranstaltung „Bildung im Digitalen Zeitalter". Im Rahmen des neuen Veranstaltungsformats #dbbdialog diskutierten die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK) Britta Ernst, dbb Chef Ulrich Silberbach und die Vorsitzenden der vier dbb Lehrergewerkschaften, wie sich Herausforderungen meistern und Potenziale nutzen lassen. 

Der dbb Bundesvorsitzende kritisierte eingangs Versäumnisse in der Bildungspolitik der vergangenen Jahre. „Die Corona-Pandemie hat weitreichende Folgen für die Bildung in Deutschland. Viele bereits bekannte Probleme haben sich verschärft, weitere Schwachstellen sind sichtbar geworden. Vor allem die unzureichende digitale Ausstattung vieler Schulen und die fehlende Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte für einen digital unterstützten Unterricht rächen sich jetzt bitter.“

Gleichzeitig warnte er davor, digitale Bildung als Allheilmittel für die Herausforderungen in der Bildungspolitik zu sehen: „Die Digitalisierung ist nur ein pädagogisches Hilfsmittel, denn Charakterbildung und die Entwicklung von Kompetenzen benötigen zuallererst eine ausreichende Zahl von gut qualifizierten Lehrkräften. Und hier müssen wir unbedingt nachbessern, denn in vielen Bildungseinrichtungen herrscht seit langem akuter Fachkräftemangel, der sich in den nächsten Jahren noch zuspitzen wird.“ 

Unabdingbar sei auch, dass der Staat seiner Fürsorgepflicht gegenüber den Lehrkräften als Dienstherr beziehungsweise Arbeitgeber aktuell besonders gewissenhaft nachkomme, stellte Silberbach klar. „Die grundsätzlichen Arbeitsbedingungen und die Bezahlung müssen verbessert werden.“ Mit Blick auf die Änderung des Infektionsschutzgesetzes appellierte der dbb Chef an die Politik, ein rechtssícheres und nachvollziehbares Verfahren bei der Umsetzung zu gewährleisten: „Die Verantwortung darf nicht auf die Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen abgewälzt werden. Wir fordern ein flächendeckendes Impfangebot für Lehrkräfte und umfassende Tests für die Schülerinnen und Schüler, beides muss die Politik sicherstellen!“

KMK-Präsidentin Britta Ernst: Digitale Lehr-und Lernformate für guten Unterricht

Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK) und Ministerin für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg, Britta Ernst, brachte ihre Anerkennung zum Ausdruck, was Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern in den letzten Monaten geleistet haben und dankte für das Improvisieren und das Engagement. Das eigenverantwortliche Lernen habe in der Pandemie an Stellenwert gewonnen. Ein guter Präsenzunterricht sei aber durch nichts zu ersetzen: „Doch wer sich in der Pandemie und auch danach mit gutem Unterricht beschäftigt, muss es vor dem Hintergrund digitaler Lehr- und Lernmethoden tun und tun können. Und was dies angeht, wünschen wir uns den Stand der Digitalisierung an den Schulen anders, als er vorzufinden ist.“ 

Bisher gebe es keine Verständigung, ob für alle Schülerinnen und Schüler ein digitales Endgerät gewollt werde, schilderte die Präsidentin der KMK den Disput unter den Bildungsministerien. „Zumindest haben wir in der Coronakrise beschlossen, dass Elternhäuser, die es sich nicht leisten können, ein digitales Endgerät brauchen. Dafür wurde der der Digitalpakt um 500 Millionen aufgestockt. Kompetenzstreitigkeiten herrschten auch bei der Frage digitaler Endgeräte für Lehrkräfte, so Ernst: „Ich vertrete die Auffassung, dass jede Lehrkraft ein digitales Endgerät braucht.“

Die KMK-Präsidentin würdigte den Digitalpakt, mit dem in dieser Legislaturperiode die Weichen neu gestellt worden seien, als gemeinsame Kraftanstrengung, die Schulen für ein modernes Zeitalter auszustatten. „Das Programm wurde von Anfang an für mehrere Jahre gestrickt. Dass die Mittel nicht abgerufen wurden, lag wohl auch daran, dass die Schulen mit dem Corona-Krisenmanagement beschäftigt gewesen sind.“

Mit Blick auf die regional oft schwierige Lehrkräftegewinnung räumte Ernst als Bildungsministerin für Brandenburg ein, dass sie dort „den ganzen Instrumentenkasten mit Zulagen und so weiter rauf und runter gespielt haben. Worauf wir sehr setzen, ist das freiwillige soziale Jahr, weil das bei jungen Menschen berufsorientierend wirken kann.“ Die Grundidee, man mache eine Grundausbildung als Lehrkraft und ist dann für 20 Jahre gewaffnet, funktioniere nicht mehr. „Ich glaube, im Bereich Fortbildung und berufsbegleitendes Lernen müssen wir systemisch in andere Routinen kommen.“

VBE-Bundesvorsitzender Udo Beckmann: Digitalpakt als Anschubfinanzierung

Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), würdigte die bereitgestellten Mittel für den Digitalpakt, sieht darin aber nur eine Anschubfinanzierung. „Wie wird die Finanzierung der digitalen Endgeräte für Schüler und Lehrkräfte nachhaltig gesichert? Wir brauchen jedes Jahr weitere 2 bis 3 Milliarden, um den gegenwärtigen Stand fortlaufend über Jahre zu halten.“ Dass erst die Corona-Krise digitale Defizite an den Schulen aufgezeigt hätte, hält er für unzutreffend, und widersprach damit deutlich der KMK-Präsidentin Ernst in ihrer Einschätzung: „Wir wussten, dass die digitale Ausstattung nicht gegeben ist. Wir wussten, dass die Personalausstattung im Keller ist und wir die individuelle Betreuung nicht ausreichend leisten können. Und wir wussten, dass die digitalen Plattformen wackelig performen. Lehrkräfte haben sich stark engagiert und vielerorts im eigenen Zirkel Fortbildungen organisiert, weil es von staatlicher Seite nichts gab.“

Unstreitig sei der hohe Stellenwert, die soziale Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern zu pflegen: „Das war im Distanz-Lernen kaum möglich, auch wenn die Lehrkräfte mit hohem Engagement versucht haben, den Kontakt zu allen zu halten. Die Behauptung, dass wir ein ‚verlorenes Schuljahr‘ hatten, wird aber den Leistungen der Schülerinnen und Schüler sowie ihren Lehrkräften nicht gerecht. Selbst wenn der Lehrplan nicht voll erfüllt wurde, wurden neue Kompetenzen ausgebildet oder verstärkt, insbesondere beim selbstständigen Arbeiten und der Strukturierung des Alltags.“ Man müsse jetzt schauen, wie die Defizite aufgearbeitet werden können und durch digitale Tools unterstützt werden können. Da zum eigentlichen Unterrichten „immer mehr Aufgaben obendrauf kommen“ werde Zeit für Kooperationen gebraucht, so der VBE-Chef. Der Dienstherr müsse auch für das Netzwerken ein Stundenkontingent einplanen.

DPhV-Bundesvorsitzende Susanne Lin-Klitzing: Digital unterstützter Präsenzunterricht als Ziel

Die Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbandes (DPhV), Susanne Lin-Klitzing, betonte, dass Lehrerinnen und Lehrer in der Pandemie alles getan haben, was sie können. Jetzt sei es an der Zeit, Perspektiven für die Zukunft zu schaffen: Ziel müsse ein digital unterstützter Präsenzunterricht sein. Wobei die KMK bisher die Antwort schuldig geblieben sei, wie sichergestellt werden könne, dass die Digitalisierung in der ersten Ausbildungsphase an der Universität in den Fächern ankommt. „Außerdem müssen in der Lehrerausbildung die Studienseminare und vor allem die Referendare digital ausgestattet werden. Sichergestellt werden muss an den Schulen die dauerhafte Finanzierung „digitaler Hausmeister“ und die kontinuierliche Erneuerung der digitalen Endgeräte für Lehrkräfte und Schüler. Wie soll dies den kommunalen Schulträgern gelingen?“

Zudem bräuchten Lehrkräfte Entlastungsstunden, denn sie könnten nicht parallel unterrichten und an digitalen Fortbildungen teilnehmen. Ein weiterer Punkt, der nach ihrer Auffassung zu wenig betrachtet wurde, sei der große Bedarf an Sozialcoaching bei Jugendlichen: „Für diesen Bereich sollten KMK und BMBF gemeinsam in einem Programm Studierende qualifizieren, die  Schülerinnen und Schüler etwa in Zeiten des Distanzunterrichts telefonisch in der Gestaltung ihres Tages und ihres Lernens begleiten“, regte die DPhV-Vorsitzende an.

VDR-Bundesvorsitzender Jürgen Böhm: Digitale Grundausbildung für junge Lehrkräfte

„Lehrkräfte haben sich in den vergangenen Monaten engagiert in die digitale Bildung reingehängt, und das hat sehr gut geklappt“, stellte der Bundesvorsitzende des Verbandes Deutscher Realschullehrer (VDR) Jürgen Böhm heraus. Doch leider habe es bezüglich der Rechtssicherheit der von den Lehrerkräften genutzten pädagogischen Plattformen große Unsicherheiten gegeben. „Deswegen war es wichtig, dass sehr viele digitale Lehrerfortbildungen durchgeführt wurden. Wir müssen weiter alles dransetzen, die Lehrer im Digitalen fit zu machen!“

VDR-Chef Böhm, der auch stellvertretender dbb Bundesvorsitzender ist, hält eine „digitale Grundausbildung“ für die jungen Lehrkräfte für unabdingbar. Die Vernetzung der Schulen beim Austausch mit digitalen Unterrichtsmitteln müsse dringend verbessert werden. „Und wir müssen um Nachwuchskräfte werben. Die Kultusbehörden sollten hier mit mehr Elan vorangehen.“

BvLB-Vorsitzender Joachim Maiß: Gigabyte in Schulen und an Milchkannen

Der Vorsitzende des Bundesverbandes der Lehrkräfte für Berufsbildung (BvLB) Joachim Maiß betonte, dass die lange Phase ohne Präsenzunterricht, persönlichen Kontakt und Austausch vor allem für die Berufsorientierung ein Problem ist. „Das Fachwissen kann im Distanzunterricht gut vermittelt werden. Allerdings hat das Zusammenspiel zwischen Theorie und Fachpraxis nicht stattgefunden. Der Praxisbezug ist schwerer herzustellen. Wie soll man praktische Aspekte virtuell darstellen und umsetzen? Auch die Durchführung von Praktika und die berufsorientierende Zusammenarbeit von allgemein- und berufsbildenden Schulen sowie den Betrieben ist deutlich erschwert. Ich fürchte, die Zahl der Ausbildungsabbrecher wird in nächster Zeit steigen.“

Maiß kritisierte die zum Teil bescheidene digitale Ausstattung berufsbildender Schulen: „Genau, wie es Wasser und Strom an jeder Schule gibt, muss auch die digitale Infrastruktur selbstverständlich sein. Wir wollen und müssen auch in Zukunft unseren Unterricht weit mehr als bisher digital gestalten, denn wir wollen unseren Schülerinnen und Schülern und der Wirtschaft eine zukunftsfähige berufliche Bildung bieten. Dafür brauchen wir eine leistungsfähige digitale Infrastruktur sowie stabile Leitungskapazitäten in den Schulen und auch bei den Schülerinnen und Schülern zu Hause. Das heißt, wir brauchen Gigabyte nicht nur in jeder Schule, sondern auch an jeder Milchkanne.“

 

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